Grenzgänger von Deutschland in die Schweiz


Steuerliche Grenzgängereigenschaft

Ein Arbeitnehmer mit Wohnsitz in Deutschland und Arbeitsort in der Schweiz unterliegt im Normalfall in Deutschland der vollen Besteuerung als Grenzgänger. Die Schweiz darf vom Arbeitslohn eine Quellensteuer in Höhe von 4,5% des Arbeitslohns einbehalten, die auf die deutsche Einkommensteuer angerechnet wird.[1]
Nach einer Einigung der Finanzverwaltungen Deutschlands und der Schweiz entfällt die Grenzgängereigenschaft, wenn die Person nicht mindestens an einem Tag pro Woche oder mindestens an fünf Tagen pro Monat von seinem Wohnsitz an seinen Arbeitsort und zurück begibt.[2] Hiergegen hat sich allerdings der deutsche Bundesfinanzhof ausgesprochen und sieht im Doppelbesteuerungsabkommen keine Stütze für eine solche Mindestanzahl an Tagen.[3]
Die steuerliche Grenzgängereigenschaft ist auch nicht von einer Entfernung zwischen Wohnort und Arbeitsort abhängig, insbesondere ist diese nicht auf Grenzzonen beschränkt, wie der Bundesfinanzhof festgehalten hat.[4]

60-Tage-Regelung

Deutschland verliert sein Besteuerungsrecht für die schweizerischen Einkünfte aber, wenn dieser Arbeitnehmer mehr als 60 Mal im Jahr nach getaner Arbeit aus beruflichen Gründen nicht an seinen Wohnort zurückkehrt (60-Tage-Regelung).[5]
Streitig kann sein, ob berufliche Gründe für die Nichtrückkehr vorlegen. Für Sachverhalte ab dem 01.01.2019 bestimmt eine Konsulationsvereinbarung, dass bei Benutzung eines Kraftfahrzeugs eine Rückkehr nach Arbeitsende an den Wohnsitz insbesondere nicht zumutbar sei, wenn die kürzeste Straßenentfernung für die einfache Wegstrecke über 100 Kilometer beträgt. Bei Benutzung öffentlicher Verkehrsmittel ist eine Rückkehr nach Arbeitsende an den Wohnsitz insbesondere nicht zumutbar, wenn die schnellste Verbindung zu den allgemein üblichen Pendelzeiten für die einfache Wegstrecke länger als 1,5 Stunden beträgt.[6]
Nach aktueller Rechtsprechung (noch nicht höchstrichterlich) ist es allerdings fraglich, ob diese starren Grenzen wirksam sind. So das Finanzgericht Baden-Württemberg[7] entschieden: "Für den Senat erscheint eine Differenzierung nach dem benutzten Verkehrsmittel als willkürlich und als nicht geeignetes Differenzierungskriterium für die Zuweisung eines Besteuerungsrechts, jedenfalls dann, wenn wie im Streitfall die Benutzung öffentlicher Verkehrsmittel aufgrund der Zeitdauer und der Anzahl der Umstiege keine Alternative ist."  Demnach besteht eine Chance, auch bei Fahrten mit dem Auto und unter 100km Wegstrecke von berufsbedingten Übernachtungen ausgehen zu können, wenn die Fahrt entsprechend lange dauert. Das entsprechende Urteil des Bundesfinanzhofs ist noch abzuwarten.

Pikett-Dienste

Ein weiterer Streitpunkt können Pikett-Dienste oder Rufbereitschaft sein. Der Bundesfinanzhof hat hierzu entschieden: „Wenn sich bei Krankenhauspersonal regulärer Dienst und Rufbereitschaft lückenlos jeweils abwechseln, liegt ein mehrtägiger ununterbrochener Arbeitseinsatz vor, der als Einheit zu behandeln ist. Ob ein sog. Nichtrückkehrtag vorliegt, richtet sich unter diesen Umständen allein nach der Rückkehr oder Nichtrückkehr am Ende des mehrtägigen Arbeitseinsatzes.“[8]

GRE-3 Formular

Dass in der Schweiz auch tatsächlich übernachtet wurde, muss der Arbeitnehmer den deutschen Finanzbehörden nachweisen.[9] Hierzu findet das Formular GRE-3 Anwendung, dem eine Liste der Nichtrückkehrtage beigefügt wird. Das Formular nebst der Liste wird vom Arbeitgeber bestätigt und jeweils dem schweizerischen Steueramt und dem Finanzamt in Deutschland vorgelegt. Das Finanzamt kann allerdings trotz des Formulars Nachweise für die Übernachtungen fordern, weshalb sich eine Beweisvorsorge emphiehlt.[10]
Gelingt der Nachweis, so hat die Schweiz das volle Besteuerungsrecht auf die Arbeitseinkünfte und Deutschland hat diese unter Progressionsvorbehalt (das heißt lediglich zur Bemessung des Steuersatzes) freizustellen.[11] Dies gilt allerdings nur, soweit die Arbeit auch in der Schweiz ausgeübt wurde.[12] Bei gewissen leitenden Angestellten (wie Vorstände, Geschäftsführer, Prokuristen und Direktoren) schweizerischer Kapitalgesellschaften kann aber ein fiktiver Arbeitsort in der Schweiz anzunehmen sein, falls die Tätigkeit nicht nur Aufgaben außerhalb der Schweiz umfasst.[13] Zudem ist die Besteuerung in der Schweiz nachzuweisen. Nach einer neuen Regelung soll dies auch für Personen gelten, die mit Einzelunterschrift oder Kollektivunterschrift ohne Bezeichnung ihrer Funktion im Schweizer Handelsregister eingetragen sind.[14]


Grenzgänger von der Schweiz nach Deutschland


Steuerliche Grenzgängereigenschaft

Wenn ein Arbeitnehmer mit Ansässigkeit in der Schweiz seinen Arbeitsort in Deutschland hat, unterliegt der Lohn im Normalfall in der Schweiz der Besteuerung. Deutschland darf vom Arbeitslohn eine Quellensteuer in Höhe von 4,5% des Arbeitslohns einbehalten. Die Doppelbesteuerung wird vermieden, indem die Schweiz lediglich 80% des Lohns in die steuerliche Bemessungsgrundlage einbezieht.[15]


60-Tage-Regelung

Bei mehr als 60 berufsbedingten Übernachtungen in Deutschland entfällt wiederum die Grenzgängereigenschaft und damit auch die Beschränkung des deutschen Besteuerungsrechts auf 4,5%. Es kommt dann zu einer tageweisen Aufteilung des Besteuerungsrechts, so dass Deutschland den Lohn für die hier verbrachten Arbeitstage besteuern kann. Bei gewissen leitenden Angestellten (wie Vorstände, Geschäftsführer, Prokuristen und Direktoren) deutscher Kapitalgesellschaften kann aber ein fiktiver Arbeitsort in Deutschland anzunehmen sein, falls die Tätigkeit nicht nur Aufgaben außerhalb der Deutschlands umfasst. Dann wäre der gesamte Lohn in Deutschland zu besteuern.[16]


Wartefrist für Abkommensvorteile (auch Wegzugsbesteuerung genannt)

Bei aus Deutschland in die Schweiz wegziehenden Personen, die beim Umzug nicht schweizerische Staatsangehörige sind, bleibt allerdings auch bei Grenzgängern im Jahr des Wegzugs und in den folgenden fünf Jahren die deutsche Besteuerung für aus Deutschland stammenden Arbeitslohn erhalten. Dies gilt allerdings nicht, wenn der Umzug in der Schweiz in der Absicht erfolgt ist, um dort eine unselbständige Tätigkeit auszuüben.[17]
Nach Rechtsprechung muss diese Absicht nicht der alleinige Beweggrund für den Zuzug in die Schweiz sein. Es ist denkbar, dass andere Beweggründe (u.U. sogar vorrangiges) Motiv für den Umzug in die Schweiz waren, z.B. eine Heirat, wenn nur die Absicht hinzukommt, dort einer unselbständigen Arbeit nachzugehen. Es ist auch nicht erforderlich, dass die beabsichtigte Arbeitsaufnahme schon konkrete Formen angenommen hat. Insbesondere müssen weder der Arbeitgeber noch der Arbeitsplatz noch die Art der auszuübenden Tätigkeit beim Zuzug in die Schweiz feststehen. Schließlich genügt es, wenn beim Zuzug in die Schweiz die Absicht der Arbeitsaufnahme vorhanden gewesen ist, selbst wenn diese Absicht dann später endgültig und auf Dauer aufgegeben wird. Im Übrigen schadet auch nicht, wenn der Umzug in die Schweiz erst (mehrere Jahre) nach Aufnahme der dortigen Arbeitstätigkeit erfolgt ist.[18]

Überdachende Besteuerung

Hat sich nur die steuerliche Ansässigkeit des Arbeitnehmers in die Schweiz verlagert, unterhält er aber in Deutschland noch eine ständige Wohnstätte oder den gewöhnlichen Aufenthalt von mindestens 6 Monaten, kann die sogenannte „überdachende Besteuerung“ eingreifen.[19] Dann hat Deutschland auch bei Grenzgängern das volle Besteuerungsrecht auf die deutschen Einkünfte, die schweizerische Steuer wird angerechnet.


Selbständige Tätigkeit in der Schweiz bei Wohnsitz in Deutschland

Die Schweiz hat mit der EU bilaterale Verträge geschlossen, die eine weitgehende Dienstleistungsfreiheit ermöglichen. Während 90 Tagen im Jahr können daher deutsche Dienstleistungserbringer in der Schweiz tätig werden und haben dazu das Recht auf Einreise und Aufenthalt.[20] Bis zu 8 Tagen ist dies bewilligungsfrei, danach erhält man eine Kurzaufenthaltsbewilligung nach vorheriger Anmeldung.
Ein Staatsangehöriger einer Vertragspartei, der als Grenzgänger eine selbständiger Erwerbstätigkeit in der Schweiz ausüben will, kann im Voraus eine Sonderbescheinigung mit einer Gültigkeitsdauer von sechs Monaten erhalten. Diese wird auf mindestens fünf Jahre verlängert, der er vor Ablauf des Sechsmonatszeitraums nachweist, dass die selbständige Erwerbstätigkeit ausgeübt wird und das Auskommen sichert.[21]
Das Besteuerungsrecht richtet sich danach, ob für die selbständige Tätigkeit eine Betriebstätte bzw. eine feste Einrichtung in der Schweiz unterhalten wird.[22] Ist dies der Fall, hat die Schweiz das Besteuerungsrecht für die Einkünfte, die dieser Einrichtung zuzuordnen sind. Diese schweizerischen Einkünfte werden dann im Regelfall in Deutschland unter Progressionsvorbehalt von der Besteuerung freigestellt.[23] Gibt es jedoch keine solche Betriebstätte, hat nur der Ansässigkeitsstaat das Besteuerungsrecht.


Von diesen Grundsätzen gibt es etliche Ausnahmen. Ob diese im Einzelfall vorliegen, bedarf einer fachkundigen Prüfung. Auch muss bei einer steuergünstigen Gestaltung die aktuelle Rechtsprechung zu den Merkmalen der ständigen Wohnstätte, des Wohnsitzes, der Nichtrückkehr und der Ansässigkeit berücksichtigt werden. Es ist daher empfehlenswert, sich vor der Aufnahme der Tätigkeit in der Schweiz beraten zu lassen.


[1] Art. 15 Abs. 1 DBA D-CH.
[2] § 7 KonsVerCHEV.
[3] Bundesfinanzhof, Urteil vom 28.06.2022, I R 24/21.
[4] Bundesfinanzhof, Urteil vom 01.06.2022, I R 32/19.
[5] Art. 15 Abs. 2 DBA D-CH.
[6] BMF, Schreiben vom 25.10.2018, IV B 2 - S 1301-CHE/07/10015-09.
[7] Finanzgericht Baden-Württemberg, Urteil vom 23.11.2022, 12 K 623/22, Rn. 103.
[8] Bundesfinanzhof, Urteil vom 01.06.2022, I R 32/19.
[9] Bundesfinanzhof, Urteil vom 15.09.2004, I R 67/03, IStR 2005, 65.
[10] Beweislastumkehr bei Auslandssachverhalten, § 90 Abs. 2 AO.
[11] Sogenannter „Progressionsvorbehalt, § 32b Abs. 1 Nr. 3, Abs. 2 Nr. 2 EStG.
[12] Art. 24 Abs. 1 Nr. 1 lit. d) DBA D-CH.
[13] Art. 15 Abs. 4 DBA D-CH.
[14] Konsultationsvereinbarung zu Artikel 15 Absatz 4 DBA-Schweiz, BMF v. 25.04.2023 - IV B 2 - S 1301-CHE/21/10018 :001 BStBl 2023 I S. 632.
[15] Art. 15 Abs. 1 DBA D-CH.
[16] Art. 15 Abs. 4 DBA D-CH.
[17] Art. 4 Abs. 4 DBA D-CH.
[18] BFH, Urteil vom 10.01.2012, I R 49/11.
[19] Art. 4 Abs. 3 DBA D-CH.
[20] Art. 5 Freizügigkeitsabkommen (FZA).
[21] Art. 32 FZA.
[22] Art. 7 (gewerbliche Tätigkeit) bzw. Art. 14 (freiberufliche Tätigkeit) DBA D-CH.
[23] Eine wichtige Ausnahme findet sich in § 20 Abs. 2 AStG für solche Einkünfte, die als Zwischeneinkünfte gelten würden. Wenn diese Ausnahme greift, wird die Doppelbesteuerung durch Anrechnung schweizerischer Steuern und nicht durch die Freistellung vermieden.